Dokumentation einer Stellungnahme des BFR vom 19.05.2006.

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Der BFR sieht im politischen Umgang mit der am 15. Februar 2006 von der LfM Nordrhein-Westfalen vorgestellte Studie den Versuch, die Bürgermedien im bevölkerungsreichsten Bundesland weg von einem partizipativen Allgemeingut hin zu einer stromlinienförmig ausgerichteten Qualifizierungsnische für angehende Journalistinnen und Journalisten umzuwandeln.

Der BFR versteht sich als Dachorganisation freier und nichtkommerzieller Medienöffentlichkeit und orientiert sich daher an selbstbestimmten emanzipatorischen Zielen.

Der BFR sieht in den Ergebnissen der Studie keinen Grund, den Bürgerfunk in seiner bisherigen Form derart neu auszurichten. Die Studie gibt jedoch genügend Argumente dafür her, das Konstrukt „Bürgerfunk“ in Richtung eigener nichtkommerzieller Lokalfrequenzen zu verändern.

Am 15. Februar 2006 stellte die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) die von Helmut Volpers, Detlef Schnier und Christian Salwiczek durchgeführte Studie „Bürgerfunk in Nordrhein-Westfalen. Eine Organisations- und Programmanalyse“ vor. Die Studie weiß dem Bürgerfunk grundsätzlich zu bescheinigen, daß die gesetzlichen Grundlagen eingehalten werden und eine – wenn auch unvollkommene — Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung an nichtkommerziellen Medien stattfindet. Dennoch entsprechen die Reaktionen aus LfM, CDU und den kommerziellen Lokalradios diesem Ergebnis der Studie nicht. Ohne den Inhalt der Studie in ihrer Gesamtheit zu werten, werden gezielt einzelne Punkte herausgegriffen, die für defizitär gehalten werden. Dabei werden die medienpolitisch gewollten strukturellen Nachteile des Bürgerfunks in der Argumentation gezielt gegen diesen gewendet.

Zum Hintergrund der Studie: Der sogenannte „Bürgerfunk“ in Nordrhein-Westfalen wurde zu Beginn der 1990er Jahre als ein Fenster im kommerziellen Lokalfunk eingerichtet. Die Medienpolitik des vergangenen Jahrzehnts trug der zu erwartenden Inhaltslosigkeit der kommerziellen Anbieter Rechnung und lizenzierte Feigenblätter, welche die Defizite der Lokalradios ausgleichen sollten. Die lokalen Initiativen vor Ort nutzen dieses Angebot im Rahmen ihrer Möglichkeiten, um der kommerziell orientierten Medienöffentlichkeit Alternativen entgegenzusetzen und den im Medien-Mainstream vernachlässigten Menschen, Meinungen und Positionen ein Forum zu bieten. Die durch die Medienpolitik gesetzten Rahmenbedingungen sind hierbei jedoch sehr bescheiden.

Die Fenster des Bürgerfunks werden am Programmvolumen der jeweiligen lokalen Veranstalter gemessen und betragen als Sollvorgabe hiervon 15%, in der Praxis zwischen 50 und 120 Minuten pro Tag und Verbreitungsgebiet. Hierbei wird die Sendezeit des Bürgerfunks zudem durch lokale Nachrichten, Werbeeinblendungen und Sportübertragungen während der Bürgerfunkzeit eingeschränkt. Unter derartigen strukturellen Voraussetzungen ist ein an emanzipatorischen Maßstäben orientiertes alternatives Programm nur schwer möglich. Der Druck der kommerziellen Lokalradios auf die Bürgerfunker/innen ist in vielen Verbreitungsgebieten so groß, daß sich der Bürgerfunk an Musik- und Textformate der kommerziellen Anbieter angleichen muß.

Die Studie über den Bürgerfunk in Nordrhein-Westfalen kommt zu Ergebnissen, die aufgrund der strukturellen Beengtheit im Grunde zu erwarten waren. Wenige Radiowerkstätten bzw. Bürgerfunkgruppen bestimmen das Erscheinungsbild der jeweiligen lokalen Ausgabe vor Ort. Bei einer täglichen Sendezeit von maximal zwei Stunden besteht keine Entwicklungsmöglichkeit hin zu einem vielfältigen, auf unterschiedliche Bedürfnisse und Erwartungshaltungen orientierten Programm. Deshalb ist die in der Studie angeführte, als problematisch gesehene Entwicklung einer zum Teil recht einseitig ausgerichteten Programmpraxis kein Qualitätsnachteil des Bürgerfunks, sondern ein Ergebnis gezielter medienpolitischer Benachteiligung.

In vielen Freien Radios und nichtkommerziellen Lokalradios in Deutschland wird nachgewiesen, daß eine Ausdehnung der Sendezeit ganz automatisch mehr Vielfalt ermöglicht, sofern sie erwünscht ist. Wer bei Einseitigkeit eine fehlende publizistische Ergänzung bemängelt, sollte berücksichtigen, daß eine publizistische Ergänzung durchaus gewollt einseitig sein kann, manchmal vielleicht sogar sein muß. Das Interesse an einer selbstbestimmten Radiopraxis ist vielerorts vorhanden; es fehlt oftmals an medienpolitischen Mut (oder schlicht am Willen, wie in Berlin-Brandenburg), dem Rechnung zu tragen.

Statt dessen wird bei der Präsentation der Studie der hohe Musikanteil des Bürgerfunks in Hagen angeführt, um ein Beispiel für die Verschwendung von Rundfunkgebühren zu finden. Hierbei werden jedoch die Bedingungen vor Ort genausowenig berücksichtigt wie die Selbstverständlichkeit, daß auch Musik ein wichtiger kultureller Bestandteil einer alternativen Radiopraxis sein kann und muß.

Musikspartenprogramme, die im kommerziellen Lokalfunk ausgeschlossen sind, finden im Bürgerfunk ihren Platz. Daraus kann keineswegs eine fehlende Förderwürdigkeit geschlossen werden. Die Schlußfolgerung lautet daher nicht: weniger Musik, sondern: mehr Sendezeit für den Bürgerfunk!

Neben der Musiklastigkeit wird ferner ein geringer lokalpolitischer Bezug bemängelt. Auch hier sind es die strukturellen Bedingungen, welche den Mangel begünstigt haben. Wenn Bürgerfunkbeiträge vorproduziert werden müssen und zumindest in der Theorie drei Tage vorher beim Chefredakteur des Lokalradios vorzuliegen haben, verhindert dies eine gezielte informative Intervention im lokalen wie überregionalen Raum. Radio ist aber ein aktuelles Medium; drei Tage später hingegen fehlt meist dieser aktuelle Bezug. Vorproduzierte Aktualität ergibt keinen Sinn.
Zudem ist festzuhalten, daß die Bürgerfunkerinnen und Bürgerfunker seit geraumer Zeit wichtige Schritte in Richtung eines Qualitätsmanagements unternommen haben. Die hierbei entwickelten Qualitätskritierien orientieren sich jedoch an den Realitäten des Bürgerfunks und nicht an den von außen herangetragenen interessegeleiteten Vorstellungen kommerziell orientierter, weil werbefinanzierter, Radioproduktion. Der im Anschluß an die Studie erhobene Vorwurf an den Bürgerfunk, er achte zu wenig auf Qualität und fördere eine Zweckentfremdung von Fördergeldern, ist allein schon deshalb ohne Substanz.

Der Bundesverband Freier Radios (BFR) sieht allerdings auch unabhängig von der LfM-Studie in der jetzigen Konstruktion des Bürgerfunks in Nordrhein-Westfalen keine Perspektive. Die von der CDU-Medienpolitik und der LfM eingeforderten Veränderungen sind jedoch ganz klar ein Schritt in die verkehrte Richtung. Statt einer veränderten Förderpraxis, die den Bürgerfunk zu einer Qualifizierungsagentur für angehende Journalistinnen und Journalisten verwandeln soll, ist im Gegenteil die Ausdehnung des Bürgerfunks hin zu selbstverwalteten nichtkommerziellen bzw. Freien Radios auf eigenen Frequenzen und bei ausreichender Finanzierung wünschenswert. Das Allgemeingut partizipativer Medien darf nicht zugunsten einer Förderung von Individualinteressen aufgegeben werden.
Für den Bundesverband Freier Radios ergeben sich aus der Studie ganz andere Folgerungen, als sie von LfM, CDU und den Betreibergesellschaften der Lokalradios gezogen werden:

  • Die Partizipation einer allgemeinen Öffentlichkeit an Bürgermedien muß erhalten bleiben. Inhaltliche Vielfalt benötigt erweitere Sendezeiten.
  • Gerade Minderheiten und vom Mainstream-Journalismus nicht berücksichtigte Positionen benötigen ein Forum.
  • Die nichtkommerzielle Ausrichtung und selbstbestimmte Gestaltung von Bürgerinnen- und Bürgermedien vermeidet einen Anpassungsdruck und ermöglicht die Entwicklung alternativer Formen von Medienöffentlichkeit.
  • Der Bürgerfunk in NRW benötigt eine finanzielle Grundsicherung, die sich nicht an von außen eingeforderten und definierten Qualitätskriterien orientiert.
  • Der offene Zugang muß erhalten bleiben. Qualitätskriterien in Richtung Professionalisierung erhöhen hinsichtlich dieses Zugangs die Hemmschwelle.
  • Bessere Sendezeiten fördern mehr Akzeptanz und Interesse. Die bisherige Praxis vorproduzierter Sendungen ist zugunsten eines Live-Sendebetriebs zu gestalten. Dies wird der Aktualität der Bürgermedien in NRW zugute kommen.
  • Perfekt wären daher nichtkommerzielle Frequenzen mit Vollprogramm in allen 46 Verbreitungsgebieten.

Verwiesen sei hier auf das Ende 2005 veröffentlichte Papier von Christian Schurig, Direktor der Landesmedienanstalt Sachsen-Anhalt: „Zur Konsolidierung der Bürgermedien“. Hier wird den Bürgermedien im Gegensatz zur medienpolitischen Diskussion in NRW ein eigener wichtiger Stellenwert zugewiesen.

E-Mail: buero@radiodarmstadt.de