Mit großer Verwunderung haben wir im Entwurf der Koalitionsvereinbarung von CDU und FDP in NRW den Absatz über den Bürgerfunk gelesen: „Der Bürgerfunk hat sich in seiner jetzigen Form überwiegend nicht bewährt. Wir werden zusammen mit den Beteiligten ein neues Konzept entwickeln.”

Die Beteiligten, das sind an erster Stelle die zahlreichen Menschen in NRW, die sich täglich ehrenamtlich in rund 150 Radiowerkstätten in unterschiedlichster Trägerschaft von Vereinen, Verbänden, Volkshochschulen, Kirchen und Gewerkschaften engagieren. Sie haben in vielen Jahren ein flächendeckendes Modell von gesellschaftlicher Beteiligung aufgebaut, das bundesweit einmalig ist. Sie sind über die Missachtung dieser gewachsenen Partizipationskultur und des bürgerschaftlichen Engagements empört.

Noch auf einer Podiumsdiskussion des Landesverbandes Bürgerfunk NRW am 13.05.2005 in Duisburg sprach der Vertreter der CDU-Faktion, Lothar Hegemann, davon, dass sich der Bürgerfunk nach Auffassung der CDU NRW seit der Einführung des Lokalfunks als Bestandteil der kommerziellen Radios bewährt habe. Weiterhin unterstrich er, dass sich die Qualität des Bürgerfunks in den letzten Jahren wesentlich verbessert habe.

Im Koalitionspapier sehen wir nun einen klaren Widerspruch zu diesen Aussagen vor der Wahl.

Uns ist unklar, wie die Verfasser des Papiers zu dieser Einschätzung gekommen sind. Erst in jüngster Zeit wurde der Bürgerfunk im Auftrage der Landesanstalt für Medien NRW (LfM) von einem unabhängigen Institut landesweit evaluiert. Die Studie ist abgeschlossen und soll im Laufe der nächsten Wochen veröffentlicht werden. Das Gesamtergebnis der Studie fasst Prof. Volpers in der These zusammen: „Der Bürgerfunk ist besser als sein Ruf”.

Selbstverständlich muss der Bürgerfunk sich ständig weiterentwickeln. Grundsätzlich halten wir ihn für unverzichtbar. Der Zugang von Bürgerinnen und Bürger zu Medien ist unserer Meinung nach unerlässlich für unsere Demokratie. Je mehr Medien es gibt, je mehr Informationen über Medien vermittelt werden, desto wichtiger wird dieser Medienzugang. Nur wer Zugang zu den Medien hat, kann seine Meinung verbreiten und sich an öffentlichen Debatten beteiligen. Wer die Funktionsweise der Medienproduktion versteht, kann sich in angemessener Form der öffentlichen Meinungsbildung stellen.

Bürgerfunk bedeutet mehr Lokalanteil im Programm der Lokalsender, bedeutet aktive Beteiligung und ehrenamtliches Engagement. Bürgerinnen und Bürger, Schüler, Senioren, sozial und gesellschaftlich Engagierte, Kultur- und Musikbegeisterte, Gruppen, Vereine und Verbände aus dem jeweiligen Sendegebiet der Lokalsender produzieren täglich eine oder mehrere Stunden nichtkommerzielles lokales Programm. Die rund 150 Radiowerkstätten im Land sind wichtige Einrichtungen der Medienkompetenzvermittlung geworden. Um die Qualität ihrer Arbeit zu sichern und auszubauen, ist eine Testierung/ Zertifizierung der Werkstätten vorgesehen.

Daten und Fakten

In NRW gibt es rund 150 Radiowerkstätten in unterschiedlicher Trägerschaft: Zahlreiche Radiowerkstätten sind in freier Trägerschaft, andere werden von Volkshochschulen, Kommunen, Kirchen, von karitativen Verbänden, Gewerkschaften, Stadtsportbünden oder anderen gesellschaftlichen Gruppierungen getragen. Damit ist der Bürgerfunk lokal im sozialen, kulturellen, sportlichen und bildungspolitischen Umfeld fest verankert. Täglich beteiligen sich zahlreiche Bürgerinnen und Bürger an ihren lokalen Radiosendern und produzieren in den unterschiedlichsten Gruppen und Werkstätten landesweit täglich rund 50 Stunden selbst gestaltetes Programm. Seit 1990 wurden von den Produktionsgruppen der Radiowerkstätten mehr als 9 Mio. Sendeminuten über die Lokalradios ausgestrahlt. Das sind über 5.555 komplette Sendetage!

Bürgerfunk ist demokratische Partizipationskultur

Gerade in Zeiten zunehmender Politikverdrossenheit ist der Zugang zu lokalen Medien eine unersetzliche Möglichkeit zur konkreten Teilhabe an der Gesellschaft. Mit den Radiowerkstätten hat die Medienlandschaft in NRW ein einzigartiges Modell vorzuzeigen, dass es nahezu jeder Bewohnerin und jedem Bewohner NRWs ermöglicht, sich in seiner unmittelbaren Nähe dieses Zugangs zu bedienen.

Bürgerfunk vermittelt Medienkompetenz

Medienkompetenz kann als vierte Kulturtechnik in der modernen Gesellschaft bezeichnet werden. Neben Rechnen, Lesen und Schreiben stellt sie bereits jetzt eine Schlüsselqualifikation dar. Die Mitarbeiter und ehrenamtlichen Helfer in den Radiowerkstätten sind mit die ersten, die ihre Bedeutung verstanden haben und ihre Vermittlung gezielt und unmittelbar einsetzen. Sie fördern damit die notwendige gesellschaftliche Diskussion um Chancen und Gefahren im Medienzeitalter. Und beim Bürgerfunk bleibt es nicht beim Radiomachen allein. Wer mit anderen zusammen eine Sendung produziert, ist auf Teamarbeit angewiesen. Wer eine Sendung produziert, bildet sich journalistisch und technisch weiter, recherchiert bei Zeitungen und im Internet. Wer einmal eine eigene Sendung produziert hat, hört „mit anderen Ohren” Radio und entwickelt insgesamt eine bewußtere Wahrnehmung von Medieninhalten.

Bürgerfunk braucht relevante Verbreitungswege

Partizipation, Beteiligung an der öffentlichen Meinungsbildung braucht einen Verbreitungsweg, der eine relevante Anzahl von RezipientInnen erreicht. Bürgermedien ohne einen effizienten Verbreitungsweg sind partizipationsuntauglich. Eine Verbreitung über das Internet ist keine Alternative; zusätzlich ist sie eine sinnvolle Ergänzung. In diesem Zusammenhang muss auch daran erinnert werden, dass der Bürgerfunk den Lokalradios nicht einfach „auf´s Auge gedrückt wurde”, sondern seinerzeit mit dem Konkurrenzausschluss für die privaten, werbefinanzierten Lokalsender verbunden war.

Bürgerfunk bildet aus

Der Bürgerfunk bietet allen Beteiligten die Möglichkeit, berufsorientierende Erfahrungen zu sammeln, sei es im Journalismus, oder in den Bereichen Technik, Medienpädagogik, Organisation, Verwaltung und Projektmanagement. In den Radiowerkstätten werden gezielt Qualifizierungsseminare angeboten, die eine ständig wachsende Professionalisierung in der Sendequalität nach sich ziehen. Zahlreiche Schulabgänger, Studierende und Berufsanfänger finden in den Radiowerkstätten eine ideale Umgebung für berufsqualifizierende Praktika. Darüber hinaus absolvieren jedes Jahr mehr als 300 Schülerinnen und Schüler ihr Praktikum in anerkannten Radiowerkstätten.

Bürgerfunk, das sind auch Arbeitsplätze

Bürgerfunk selbst ist grundsätzlich ehrenamtlich; über 50 Radiowerkstätten werden aber hauptberuflich geleitet. Zusätzlich gibt es ca. 450 Honorarkräfte in den Bereichen Fortbildung, Produktionsbegleitung, Gruppenbetreuung und Projektmanagement – landesweit sind das fast 500 Jobs im Bürgerfunk, hauptberuflich oder im Nebenjob.

Bürgerfunk bietet ein effizientes Preis-Leistungs-Verhältnis

Die Programmschaffenden, die Bürgerfunkgruppen, produzieren unentgeltlich. Die rund 150 Bürgerradiowerkstätten, die die notwendige technische, organisatorische und medienpädagogische Infrastruktur bieten, erhalten zurzeit pro gesendeter Minute Zuschüsse von der Landesanstalt für Medien NRW. Diese Zuschüsse, die sich jedes Quartal neu errechnen, können Produktions-, Raum- und Personalkosten nicht decken, bilden jedoch einen wichtigen Bestandteil der unterschiedlichen Finanzierungskonzepte. Die Träger der Radiowerkstätten – Vereine, Kommunen, Volkshochschulen, Kirchen, Gewerkschaften und Verbände – bringen in erheblichem Maß Eigenmittel ein. Zusätzlich akquirieren sie Drittmittel, insbesondere im Rahmen von Projektarbeit, z. B. Fördermittel von Stiftungen oder Sponsorengelder. Viele Radiowerkstätten arbeiten dabei auch mit Landes- und Bundesministerien oder europäischen Einrichtungen zusammen. Und: Viele Radiowerkstätten werden mit einem großen ehrenamtlichen Einsatz geführt.

Bürgerfunk ist multimedial

Die Arbeit in den Radiowerkstätten ist längst nicht mehr nur Hörfunkarbeit. Das Internet wird in Recherche, Produktion und der internen Kommunikation mit einbezogen. Digitalfotografie, Webseitengestaltung, Videoproduktion – die Gestaltungsmöglichkeiten sowie das Know-how über Neue und Alte Medien wird ständig erweitert. Dabei kooperieren Radiowerkstätten mit Partnern in der Medien- und Bildungsarbeit, mit Weiterbildungswerken, Jugend- und Senioreneinrichtungen sowie anderen Bildungsträgern und, wo möglich, auch mit anderen Bürgermedien wie Offenen Fernseh-Kanälen oder Uni-Radios.

Bürgerfunk schafft Öffentlichkeit

Bürgerfunkbeiträge als integraler Bestandteil des lokalen Hörfunkprogramms leisten einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung. Inhalte, die in öffentlich-rechtlichen oder privaten Medien gar nicht oder nur in sehr geringem Umfang verbreitet werden, finden einen Platz. Damit trägt der Bürgerfunk zur Medienvielfalt bei.

Bürgerfunk bildet lokale Netzwerke

Die Radiowerkstätten sind ein wichtiger Faktor in der lokalen Community geworden. Sie beteiligen sich an Arbeitskreisen oder Planungsgruppen und nehmen nicht selten bei lokalen Veranstaltungen eine bedeutende Rolle ein, als Initiatoren oder Medienpartner. In den Verbreitungsgebieten beteiligen sich zahlreiche Gruppen direkt und indirekt am Bürgerfunk, die Radiowerkstatt selbst ist ein Ort der Kontaktaufnahme geworden. Dadurch entstehen ständig neue Kooperationen, die längst über reine Bürgerfunkproduktionen hinausgehen.

Bürgerfunk steigert seine Qualität stetig

Die Qualität der Bürgerfunkbeiträge wurde im Laufe der Jahre kontinuierlich verbessert. Dazu beigetragen hat die alltägliche Bildungsarbeit in den Radiowerkstätten ebenso wie die Projektförderung und die gut angenommenen Fortbildungsangebote der LfM. Sowohl Radiowerkstätten als auch ProduzentInnen sind an einem qualitativ hochwertigen Programm interessiert. Schließlich will jeder Bürgerfunkbeitrag bei den HörerInnen ankommen.

Bürgerfunk ist ein Modell der Zukunft

Die Kernkompetenzen der Hörfunkarbeit eignen sich optimal als Basis für multimediale Vernetzung: Recherche, Organisation, Konzeption und Produktion von Audiobeiträgen beinhalten die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten, die auch für die Vermittlung visueller Medienarbeit sowie für die Medienarbeit im Internet geeignet sind. Der Hörfunk selbst bleibt wahrscheinlich das am meisten geeignete Bürgermedium, weil er in allen Bereichen relativ leicht erlernbar ist und zu schnellen Erfolgserlebnissen führt.