Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 03.03.2005: Kampf gegen Hörerschwund
Lokalsender haben sich mit den „Bürgerfunkern“ arrangiert

Von Susanne Schild

Der Bürgerfunk ist urdemokratisch und eine nordrheinwestfälische Besonderheit: Täglich soll im Lokalradio eine Stunde als Forum für alle dienen. Seit 15 Jahren kämpfen in 160 Radiowerkstätten ehrenamtliche Amateur-Moderatoren vor allem um eins: den Hörer vom Abschalten abzuhalten.

Der Bürgerfunk ist ein rotes Kind, erdacht Mitte der 80er Jahre, auf den Äther gegangen 1990. Um eine Kommerzialisierung des Privatfunks zu verhindern, beschloss die damals alleinregierende SPD, den Bürgerfunk als Bestandteil des privaten Lokalradios gesetzlich zu verankern. Seitdem müssen die Chefredakteure der lokalen Stationen wohl oder übel akzeptieren, dass zur besten Sendezeit nicht unbedingt hörergewinnende Kost aus den Radios dringt.

Die CDU stellte von vornherein klar: Ihr Wahlsieg wäre das Ende des Bürgerfunks. Angesichts dessen, was mitunter zwischen 19 und 20 Uhr aus unseren Radios klingt, keine schlechte Idee: Da tragen Literaturwerkstätten selbstverfasste Liebeslyrik in halbstündiger Länge vor, ereifern sich Tierschützer über die Leinenpflicht auf der XY-Wiese, oder (wirklich wahr) liest ein lispelnder Herr eine Passage aus seinem Lieblings-Mickey-Mouse-Comic vor.

„Inzwischen ist die Kritik am Bürgerfunk deutlich abgeflacht“, sagt Peter Widlok, Sprecher der Landesmedienanstalt. „Offensichtlich haben die Chefredakteure mit dem Bürgerfunk ihren Frieden gemacht.“

Witten, Evangelisches Krankenhaus, zweite Etage: Hinter dem „Achtung-Aufnahme“-Lämpchen verbirgt sich ein Studio in Eierkarton-Optik, das seine Entstehung in den 80ern nicht verleugnen kann: Die Gardine geht ins Grünbraune, auch das Mobiliar hat bessere Zeiten gesehen. Marek Schirmer (31) und Anna Kopetsch (28) zeichnen gerade eine Sendung auf. „Das Thema ist Grippeschutz“, sagt Anna und platziert ihre Interviewpartnerin von der Uni Witten/Herdecke hinter einem Kronleuchter aus Mikrofonen.

Früher wurde hier ein Programm für die Krankenhauspatienten erstellt, heute nutzen vier Gruppen die Technik, um Beiträge für den Lokalsender „Radio EN“ zu produzieren. Darunter Anna Kopetsch und Marek Schirmer, Teil des Vier-Personen-Clubs „Antenne Witten“. Sie arbeiten ehrenamtlich, lediglich die Produktionskosten werden aus den GEZ-Gebühren finanziert.

16 Minuten werden die Damen darüber plaudern, was die Grippe macht, wann sie kommt und wie lange sie bleibt. Angereichert mit Musikblöcken reicht das, um eine Bürgerfunk-Stunde zu füllen. Warum die beiden überhaupt ihre Freizeit dem Radiomachen widmen? „Der lokale Aspekt“, sagt Anna und meint die Themen von „Straßensperrung bis Streik“. „Dass man so interessante Leute kennen lernen kann“, sagt Marek, dem die Leidenschaft für die Technik ins Gesicht geschrieben steht. Zum Erfolg ihrer Sendungen haben beide allerdings ein rationales Verhältnis: „Wegen uns schaltet keiner zusätzlich das Radio ein“, erklärt Anna Kopetsch. Auch musikalisch versuchen sie sich der Klangfarbe von Radio EN anzupassen: „Wir wollen die Leute erreichen und nicht erschrecken.“

Jener Konsens sei der Erfolgsgarant für den Bürgerfunk, glaubt Peter Widlok. Mit diesem Gedanken kann sich auch die Landes-CDU anfreunden. So erklärt ihr medienpolitischer Sprecher, Lothar Hegemann aus Recklinghausen, dass „die CDU nach einem Wahlsieg am bewährten Zwei-Säulen-Modell im NRW-Lokalfunk festhalten wird.“